Des Lebens Meisterin

Erfahrung bleibt des Lebens Meisterin. So schrieb es Goethe mal.

Nawalny ist tot, die Kriege gehen weiter, Leid für so viele Menschen. Aber heute morgen im dämmernden Licht zwitschern die Vögel, als gäbe es Hoffnung, die sie herbeisingen könnten. Sie zwitschern einfach munter weiter. Sie machen einfach weiter, als wäre nichts. Als würden sie sagen wollen: Kopf hoch, es geht weiter“. Immer weiter. Als würden sie Goethes Worte greifen und sagen: „Hey. Ja, es gibt so viel schlimmes, ja. Aber es geht weiter.“

Goethes Worte fielen mir heute entgegen und ich habe überlegt, ob sie ein Fenster sein können, das sich öffnen lässt. Ein Fenster zur Hoffnung, zum Weitergehen. Oder zumindest dabei helfen, eines in unserem Leben zu finden. Ein Fenster zum rausgucken, öffnen, rausklettern. Eines, das uns hilft zu lernen, mit dem Umzugehen, was wir an negativem erfahren. All unsere täglichen Erfahrungen fließen in uns hinein. In unser Leben. Und sie machen etwas damit und mit uns.

All das, was wir aktiv erleben. Was können wir im Besten Fall daraus lernen? Positiv als auch negativ. Erfahrungen prägen unsere Persönlichkeit, unsere Entscheidungen und unser Verhalten.

Mir hilft in wirren und unsteten Phasen der Weg in die Natur. Wenn ich draußen laufen kann. Es ist mein Pendant zum Zwitschern der Vögel.

Manchmal, wenn die Sonne scheint, denke ich, sie schafft Platz für das Helle. Dann komme ich aus meinen düsteren Gedanken heraus in eine Art Aufbruchstimmung. Hunde bellen, Blumen sprießen. Es fühlt sich gut an, Sauerstoff zu atmen, frische Luft hineinzulassen in all die Körperzellen. Sich bewegen und strecken. Und laufen. Ich kann dabei immer am besten nachdenken, die Dinge abwägen und mit mir selbst diskutieren. Und nach vielem hin und her gelingt es mir manchmal aus, sie loszulassen.

Schritt für Schritt. Meine Gedanken versuchen eine Zeit lang mitzulaufen. Aber es gelingt ihnen nicht immer, denn ich bin mit den Beinen schneller und hänge sie ab. Darüber, dass ich sie abgeschüttelt habe, freue ich mich diebisch. Ein kindliche Freude macht sich breit in mir. Und lässt mich die Natur entdecken, atmen. Die Sonnenstrahlen fühlen, Holz riechen und das Rascheln der Blätter hören. Den Rest der Welt blende ich dann aus. Meine Welt besteht nur aus dem, dass ich in diesem Moment direkt vor meinen Augen habe, was ich riechen kann und fühlen. Und es fühlt sich heimatlich an. Geborgen im großen und ganzen, das wie auch immer alles zusammenhält. Ein gutes Gefühl entsteht, dass mich fröhlich stimmt und als anderer Mensch zurückkehren lässt, als ich losgelaufen bin.

Die Welt kann warten. Einen paar Momente jedenfalls. Das heißt noch lange nicht, dass sie aufgegeben ist. Denn das wird hoffentlich nie geschehen.